Ich starte diesen Blogbeitrag mit folgendem Zitat aus einem Interview mit Ramit Sethi:
We LOVE to share our successes. We LOVE it. We do it with crypto, we do it with buying a house and selling it with a profit, we do it with business […]. But you almost never hear anyone saying: „[…] I bought this and sold it for one fifth the price and […] because of the transaction fee, I lost […] 85% of my money. You NEVER hear that. It is deeply shameful for people to admit that they lost money. […] We are safety seeking, we are status seeking.
Ramit Sethi, im Interview mit ‚The Diary of a CEO‘
In einem der Levermann-Blog-Posts habe schon einmal detaillierter über Verluste gesprochen. Hier möchte ich einmal über meine größten Verluste in den letzten Jahren meines Investierens an der Börse sprechen. Ich möchte darlegen wie es zu den Verlusten kam, wie ich mich gefühlt habe und was ich daraus gelernt habe. Und ich möchte aufzeigen, warum es gerade als aktiver Investor so wichtig ist, Verluste zu akzeptieren und diese zu realisieren und nicht als Depotleichen herumliegen zu lassen.
Verlust 1: Wirecard AG:
Ich denke, dass in Deutschland unglaublich viele junge Leute Geld mit Wirecard verloren haben. Die Aktie war medial wie auch in Aktienforen in Deutschland in aller Munde zur damaligen Zeit und vor allem in Privatanlegerdepots vertreten. Wieso habe ich investiert? Nun ja, die Aktie sah fundamental günstig aus und nach einem Shortseller-Verbot der BAFIN (Bundesaufsicht für Finanzen) und dem glaubhaft gemachten Narrativ, dass die USA und das Wallstreet Journal einfach nur eine Schmierenkampagne gegen deutsche Vorzeige- und Wachstumsunternehmen führen, war für mich Betrug in dem heute bekannten Ausmaß nicht vorstellbar. Wie viel Geld habe ich verloren? Ich habe mehr oder wenig zügig die Reißleine gezogen, aber es waren wohl so 70% oder 80% des eingesetzten Betrages – die genaue Zahl weiß ich tatsächlich nicht, ich habe es verdrängt. Es hat unfassbar weh getan und mich komplett erschüttert. Ich hatte an dem Abend als die Verluste aufgetreten sind, versucht die Fassung zu bewahren, was mir allerdings schwer fiel. „Was ist los? Irgendwas mit deinen Aktien?“ hatte mich meine Frau gefragt. Meine Beichte fiel mir nicht schwer, und als sie mich in den Arm nahm, konnte ich ein paar Tränen und meine Wut nicht verkneifen. Was habe ich daraus gelernt? Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Wenn eine ‚Red Flag‘, also Ungereimtheiten, oder Bilanzfehler auftreten, oder auch nur der VERDACHT, dass so etwas vorhanden ist, dann lasse ich die Finger von solchen Aktien. Es gibt so viele Aktien weltweit, dass es verschmerzbar ist, ab und zu um ein paar toll aussehende Chancen, einen Bogen zu machen.
Verlust 2: Lang& Schwarz AG:
Die Lang&Schwarz AG ist ein Finanzunternehmen. Das Unternehmen tritt als Emittent von Derivaten auf. Lang& Schwarz bietet das LS Tradecenter an; dort wird außerbörslicher Handel (OTC) abgewickelt. An der LS Exchange ist sie Market Maker. Die LS Exchange ist ein elektronisches Handelssystem. Im Corona-Börsen-Boom erlebte Lang&Schwarz einen vorher nie gekannten Boom des operativen Geschäfts. Vor allem der Neo-Broker Trade Republic, der die Trades über Lang & Schwarz abwickelt, war – ähnlich wie RobinHood in den USA – von einem Boom geprägt. Da Trade Republic riesige europäischen Expansionspläne hatte, war für mich kein Ende des Wachstums in Sicht. Ich baute die Position von Lang & Schwarz bei Rücksetzern weiter aus. Sie nahm wohl damals etwa ein Viertel oder ein Drittel meines Portfolios ein. Am Tag vor der Hauptversammlung im Jahr 2021 wurde dann bekannt gegeben, dass das Finanzamt Zahlungen verlangt für ein Strafverfahren im Rahmen von Ermittlungen zum Cum Ex-Skandal. Die Strafzahlungen bezogen sich vor allem (soweit ich es richtig im Kopf habe) auf Zeiträume um das Jahr 2007. Die Aktie brach etwa um 40% ein. Ich habe die Aktien immer noch mit Gewinn verkauft, aufgrund des frühen Einstiegs in der Corona-Zeit. Trotzdem, es hatte sich wie ein riesiger Verlust angefühlt, der er ja auch war. Ich war damals im Urlaub und hatte ungläubig das Handy angestarrt, als ob ich dadurch den Kurs nach oben manipulieren könnte. Leider hat es damals den Urlaub etwas versaut. Ich habe wieder eine unglaublich Wut darüber gespürt, dass ich Verluste für die Verfehlungen anderer erleiden muss. Was habe ich daraus gelernt? Einige Dinge: 1. Klumpenrisiken meide ich, ein hochkonzentriertes Portfolio können vielleicht Warren Buffett und Charlie Munger aufbauen, ich aber nicht, 2. Finanzunternehmen meide ich seither, vielleicht hätte mir das schon nach Wirecard klar sein müssen. Zu viele Undurchsichtigkeiten und Compliance-Geschichten in die ich schlicht keinen Einblick habe.
Verlust 3: Turbo-Optionsschein auf DAX:
Als der DAX in der Corona-Zeit massiv einbrach, war mir klar, dass wir irgendwann aus dem Tal wieder herauskommen. Etwas über 10500 Punkten habe ich einen DAX-Turbo-Optionsschein (Long) auf den DAX gekauft. Der DAX fiel weiter. Bei ca. 9000 Punkten wurde der Schein ausgeknockt, Totalverlust, -100%. Der DAX erreicht im Corona-Crash das tief bei etwa 8000 Punkten, wenige Monate später stand er bei 16000 Punkten. Warum hatte ich so etwas gemacht, wie hat es sich angefühlt? Die Verluste im Corona-Crash hatten sich nach Demütigung angefühlt. Meine Reaktion wie so oft: Wut und jetzt erst recht. Die Aggression habe ich also mehr oder weniger rationalisiert und gesagt: ‚Beim Anstieg bist du dann umso mehr dabei!‘ Was habe ich daraus gelernt? 1. Der Markt kann sehr tief fallen, 2. Turbo-Optionsscheine sind vielleicht keine so tolle Idee 😉
Verlust 4: ETF auf den MSCI Eastern Europe:
Im Jahr 2021 zog die Inflation spürbar an. Ich traf deshalb folgende Vorhersagen: Die Zinsen werden steigen, Wachstumsunternehmen werden fallen, Dividendenaktien und niedrig bewertete Value-Werte werden profitieren. Entsprechend suchte ich nach einem Investment, das meine Idee am besten abbildet. Da der gesamte osteuropäische Raum – Polen, Tschechien, Russland – sehr günstig auf Basis von Dividendenrendite, Kurs-Buch-Wert, Kurs-Gewinn-Verhältnis und zyklisch-adjustiertem Shiller-KGV aussahen, entschied ich mich in ein Investment in einen ETF auf den MSCI Eastern Europe. Nun, der Ukraine-Krieg hob die Welt in manchen Teilen ziemlich aus den Angeln. Russische Aktien wurden nicht mehr handelbar, die Verluste der russischen Aktien ist quasi eine Enteignung. Verlust: etwa 80%. Wie fühlte ich mich? Ehrlich gesagt, ist das der einzige Verlust, den ich mehr oder weniger gelassen hingenommen habe. Ich habe ihn fast mit einer Portion Sarkasmus, wenn nicht sogar Humor hingenommen. Ich weiß selbst nicht so genau warum. Selten habe ich mit einer Vorhersage zu makro-ökonomischen Entwicklungen derart richtig gelegen und gleichzeitig derart viel Geld verloren – mit einem Länder-ETF!!
Wie fühlen sich also solche extremen Verluste von mehr als 50% für mich an? Meistens wie Demütigungen und Herabsetzungen. Und auf diese reagiere ich meist mit Wut und Trotz. Ähnlich wie ich mich gedemütigt fühle, wenn mein Sohn mit anspuckt, weil er sich mit Worten noch nicht richtig wehren kann…
Man kann den Markt nicht kontrollieren, man sollte wohl am ehesten versuchen, an seinen Gefühlen zu arbeiten, um richtige Entscheidungen zu treffen.
In der Behavioral Finance Forschung hat man herausgefunden, dass sich Verluste mehr als doppelt so schlimm anfühlen wie sich Gewinne gut anfühlen. Oftmals will man deshalb Verluste nicht realisieren. Wenn es sich nur um Buchverluste handelt, die man nicht realisiert, muss man sich psychologisch nicht eingestehen, dass man Verluste gemacht hat. Der psychologische Anker, der am Einstandskurs gesetzt wird, ist also sehr stark und führt zu irrationalen Entscheidungen später. Wenn man allerdings auf Einzelaktien setzt – wie ich das in der Levermann-Strategie tue – ist es unglaublich wichtig, Nieten schnell zu entsorgen, um den Weg frei zu machen für Unternehmen mit operativem und hoffentlich kurstechnischem Rückenwind.
Wir sollten also lernen, mit Verlusten richtig umzugehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Sicher ist es immer gut demütig zu bleiben – egal ob bei Gewinnen oder bei Verlusten. Aber es ist eben ein Unterschied, ob man demütig ist oder gedemütigt – manchmal bei mir vielleicht ein schmaler Grad…
Ich schließe den Blog-Artikel mit drei Zitaten:
With every investment you either get richer or you get wiser, never both.
Mark Yusko
Keep your head up in failure, and your head down in success.
Jerry Seinfeld